Heilpädagogische Arbeit
Heilpädagogik
Heilpädagogik befasst sich als Wissenschaft wie als Praxis mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die infolge biologisch bedingter Schädigung und/oder durch soziale Verhältnisse und Einflüsse in ihrer körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung so beeinträchtigt wurden, dass sie als Behinderte, Verhaltensgestörte den gesellschaftlichen Anforderungen hinsichtlich Leistung und Anpassung schon von der Vorschulerziehung an nicht oder nur begrenzt gewachsen erscheinen und in Gefahr geraten, von anderen Personen oder von Institutionen auf Dauer abhängig zu bleiben oder ausgenutzt zu werden.
In diesem Zusammenhang ist die soziale Dimension des Behindertseins in ihrer kausalen Beziehung zu einer zugrunde liegenden Schädigung wesentlich komplexer; soziale Folgewirkungen der Behinderung sind darüber hinaus differenzierter, sie können als wesentlich schwerwiegender empfunden werden... Hier zeigt sich, dass nicht die Schädigung, die zu einer körperlichen oder psychischen Behinderung führt, als solche von Belang ist, sondern ihre Folgewirkung (soziale Behinderung) auf die Person (Bleidick).
Somit kann die Behinderung nicht als naturwüchsig entstandenes Phänomen betrachtet werden. Sie wird sichtbar und damit als Behinderung erst existent, wenn Merkmale und Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt werden zu jeweiligen gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über individuelle und soziale Fähigkeiten. Indem festgestellt wird, dass ein Individuum aufgrund seiner Merkmalsausprägung diesen Vorstellungen nicht entspricht, wird Behinderung offensichtlich, sie existiert als sozialer Gegenstand erst von diesem Augenblick an (Jantzen). Letztendlich ist die Behinderung eine Auswirkung des Andersseins bzw. des Unterschieds an Lebensqualität und ohne soziale Bezüge nicht denkbar.
Für eine Heilpädagogik, die den Wert menschlichen Lebens wie das Personsein jedes Menschen als unantastbar und jedem Menschenleben innewohnend bestimmt, sind die Verdeutlichung und Reflexion anthropologisch-ethischer Grundannahmen unabdingbare Voraussetzung.
Heilpädagogik anerkannt das unteilbare Personsein und die Subjekthaftigkeit des Menschen, d.h. die je individuelle Art und Weise der menschlichen Entwicklungs- und Lebensgeschichte, die - eingebunden in soziale Kontexte - das Sich-Einlassen und Sich-Auseinandersetzen mit der personalen und materialen Umwelt ermöglichen. Dazu gehört, dass der Mensch als frei und selbstbestimmt in seinen Möglichkeiten und Potentialen, aber auch in seinen Begrenzungen akzeptiert und verstanden wird.
Somit ist das Ziel des heilpädagogischen Handelns, mit dem Klienten sowie seinen Bezugspersonen die Entfaltung der vorhandenen Potentiale zu fördern. Dabei soll vor allem ein möglichst gutes Verhältnis zur eigenen Person, zu anderen Menschen, zur Sach- und Umwelt und zu ideellen Werten erreicht werden (Fachbereichstag Heilpädagogik).
Heilpädagogische Übungsbehandlung (HPÜ)
Die heilpädagogische Übungsbehandlung ist grundsätzlich auf die Gesamtförderung, d.h. auf die Förderung der emotionalen, sensorischen, motorischen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten ausgerichtet. Daher ist die heilpädagogische Übungsbehandlung im Berufsfeld der Heilpädagogen ein feststehender und originärer Begriff (Berufsverband der Heilpädagogen). Sie gehört ganz selbstverständlich zum Methodenrepertoire der Heilpädagogen.
Im Zentrum dieses Konzeptes steht das Spielen als gleichsam vorsprachliches Medium, um zunächst eine partnerschaftliche und verlässliche Beziehung aufzubauen. Das Spielen wird unmittelbar und gleichzeitig durch ein zielgerichtetes Üben ergänzt und ist nach vorheriger Diagnostik bzw. Begutachtung jeweils am Entwicklungsstand des Kindes orientiert.
Anlass für die Durchführung einer heilpädagogischen Übungsbehandlung ist nicht ein Symptom oder ein Fehler eines Menschen, sondern sein aktuelles und existentielles Problem bzw. eine nicht zu bewältigende Lebenssituation. Entsprechend ist das eigentliche Ziel der heilpädagogischen Übungsbehandlung nicht irgendeine Leistung (z.B. Farbunterscheidung), sondern ein besseres, reicheres, sinnvolles Leben.
Ein Kennzeichen der Übung ist die Wiederholung eines bestimmten Verhaltens. Die wiederholten Tätigkeiten sollen durch das Üben verinnerlicht, automatisiert oder gekonnt werden und brauchen später nicht mehr neu eingeübt zu werden.
Ein eigenes nur für die heilpädagogische Übungsbehandlung entwickeltes Übungsmaterial gibt es nicht. Vielmehr gilt der Grundgedanke, verfügbares adäquates und didaktisches Material dem Einzellfall angemessen zu adaptieren und einzusetzen. Das heißt, das dargebotene Material sollte einen entwicklungsentsprechenden Aufforderungscharakter haben und der jeweiligen Interessenlage des Kindes angemessen sein.
Der Heilpädagoge orientiert sich, im Sinne des klientenzentrierten Verfahrens, nicht an einem festgesetzten Programm, das es unbedingt durchzuführen ist, sondern an dem einzelnen Menschen und der jeweils einzigartigen Situation (Lotz).